Zum ersten Mal begegnet bin ich den Texten Franz Kafkas in der Oberstufe: Unsere Lehrerin legte uns, ohne Erklärung wohlgemerkt, die eigentlich recht kurze Geschichte „Vor dem Gesetz“ vor; um ehrlich zu sein, ich konnte damit zu diesem Zeitpunkt wenig anfangen, erst später sollte ich meine Begeisterung für Kafkas Texte entdecken. Würde es den Teilnehmern der November-Sprachkneipe wohl ähnlich ergehen?
Jedenfalls haben wir uns den oben erwähnte Text angesehen und anschließend in der Diskussion besprochen. Zunächst habe ich den Text vollständig vorgelesen, indem ich allerdings ab und an inne hielt, um die Schlüsselstellen zu erläutern; nach und nach näherten wir uns dergestalt dem Ende des Textes, die Teilnehmer erwarteten sichtlich gespannt den Ausgang, dann sagt der Türhüter, ich wusste es bereits auswendig: „Ich gehe jetzt und schließe ihn.“ – und unversehens Stille, die Teilnehmer saßen vor dem Ausgang des Textes wie der Mann vom Lande vor dem nunmehr verschlossenen Gesetz. Wie einst auch ich, genauso ratlos waren nun auch die Teilnehmer, überdies schien kaum jemand den Text zuvor gelesen zu haben. Tatsächlich gaben die Teilnehmer auf meine Nachfrage hin an, der Text gehöre nicht zum Japanischen Curriculum.
Wir tasteten uns daher Schritt um Schritt vor, sammelten die Eindrücke von „Alptraumhaft“ bis „Unlogisch“, nur die Verwirrung war allen gemein; im übrigen ist der Diskussion ein Vortrag meinerseits zu Werdegang und Lebensumständen Franz Kafkas vorangegangen; außerdem habe ich einige Methoden im Umgang mit schwer zugänglicher Literatur erläutert, in der Hoffnung dadurch den Teilnehmern den Zugang zu erleichtern. Zum Abschluss haben wir uns den Anfang des Animes „Ein Landarzt“ angesehen; allerdings, obwohl auf Japanisch, schien die erste Reaktion hierauf ebenfalls Verwirrung zu sein. Einer der Teilnehmer fragte schließlich, was für einen Nutzen Literatur in der heutigen Leistungsgesellschaft denn bringe? Eine Frage, die zu einer rneuten, sehr wichtigen Diskussion führte. Vielleicht passt Kafkas Literatur nicht in unser alltägliches Verständnis von Sinn und Sinnhaftigkeit, aber solange die Verwirrung nicht etwa in Resignation endet, sondern zu neuen Fragen führt, überdies zu einem Nachdenken über Sprache überhaupt und über ihre Formen und Grenzen, solange, denke ich und habe ich versucht den Teilnehmern nahe zu bringen, ist Literatur unentbehrlich für uns; eben weil wir tagtäglich den Umstand vergessen, dass wir uns innerhalb derselben Welt aus Buchstaben und Sprache bewegen. Und wie es einst mir ergangen ist, so werden vielleicht auch die Teilnehmer sich neuerlich mit dieser so schwierigen, aber auch so reizvollen Art von Literatur beschäftigen.
初めてフランツ・カフカの小説と出会ったのは、 高校一年生の頃だった:先生は何の説明もなく 『掟の門前(Vor dem Gesetz)』という短い小説を配った。 正直にいうと、その時は全然意味が分からなかったけれども、 数年後にカフカの小説の魅力が分かってきた。 11月のシュプラッハ・カフェの参加者には読んでみて どんな印象が残ったかな?
Bis in die Ferne geht der Weg, zu beiden Seiten von dichtem Buschwerk bewachsen. Dann von irgendwoher erscheint ein Elefant, gemessenen Tempos, aber nicht langsam, geht er voran. Plötzlich rückt von hinten ein zweiter Elefant heran, aber, unentschlossen zu warten, schickt er sich an, sich an dem Ersteren vorbei zu schieben. Es gelingt ihm auch tastächlich, aber nur halb, sie sind auf gleicher Höhe, dann gewinnt der zweite Elefant; aber nur zäh, unmerklich fast schiebt er sich vorüber. Wo befinden wir uns hier? – Auf der deutschen Autobahn, wo gerade in diesem Augenblick ein sogenanntes Elefantenrennen sein Ende findet. „Elefantenrennen“, d.h. Elefant für LKW; darin drückt sich der ganze Unmut eines deutschen Autofahrers aus, der infolgedessen, obwohl in Eile, einfach nicht schneller fahren kann.
Diesen und andere Ausdrücke haben die Teilnehmer der Sprachkneipe im November gelernt; und zwar ging es dieses Mal um das Thema Straßenverkehr in Deutschland. Zunächst haben wir miteinander über Vokabeln gesprochen, sodann haben die Teilnehmer gelernt, mit diesen Vokabeln einen Satz zu formulieren, durch den sich ihre Wut vollendet ausdrücken lässt: „Fahr zu, du Schnecke!“ Gleichmut war gestern, heute diktiert der Ton der deutschen Autobahn die Sprachkneipe.
Im übrigen haben wir natürlich auch die Verkehrsregeln in Deutschland mit denen in Japan verglichen; vor allem die Abwesenheit jedweder Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen verblüffte und erheiterte die Teilnehmer. Bedauerlicherweise bringt auch das wenig Nutzen, wenn man z.B. im Stau feststeckt, eine Erfahrung, wie sie jeder Fahrer auf deutschen Autobahnen früher oder später mit Sicherheit macht; daher, und weil übrigens die Teilnehmer beteuerte, in Japan gebe es keinerlei Staus, haben wir uns versuchsweise überlegt, wie es wohl wäre, im Stau festzustecken, und zwar während mehrerer Stunden. Hauptsächlich die Frage, in welcher Entfernung man denn mit Toiletten zu rechnen habe, beunruhigte die Teilnehmer nicht wenig; ist doch gewöhnlich die japanische Toilette nur einen Convenience Store weit entfernt, dagegen sucht man in Deutschland – wohin auch immer man geht – Toiletten oftmals vergeblich. Um den so gewonnen Eindruck noch zu festigen, habe ich Videos von deutschen Autobahnen gezeigt: Drängeln, Lichthupe, beim überholen Schneiden, Toter Winkel, Missachtung des Gegenverkehrs, Verfolgungsjagden, sich überschlagende Fahrzeuge – das ganze ungenierte Vergnügen der deutschen Autobahn!
Abschließend, und zur Entspannung der Nerven, haben wir probeweise einen Führerscheintest auf Deutsch veranstaltet; es zeigte sich allerdings, dass die japanischen Verkehrsregeln teilweise anders zu sein scheinen, als die deutschen, wobei ich meinerseits, um ehrlich zu sein, auch nicht alle Fragen korrekt beantworten konnte. Jedenfalls sind die Teilnehmer nun gerüstet mit einem reichhaltigen Arsenal an Ausdrücken und Umgangsformen für die deutsche Autobahn, vor allem wenn wieder in allerdings weiter Ferne ein Elefantenrennen entdeckt wird, noch dazu auf drei Spuren!
Am Sonntag regnete es. Bei unserer Ankunft war der Himmel schon von grauen Wolken verhangen, nun setzte ein leichter Nieselregen ein, es würde heute kühl bleiben, den ganzen Tag. Die Trachten mussten zwar diesmal der Regenjacke weichen, nichtsdestotrotz harrten wir aus in Sturm und Regen, verteilten unermüdlich weiter Flyer, gaben bereitwillig Auskunft, den wenigen Gä sten, die sich an diesem letzten Festtag vor dem Unwetter nicht abschrecken ließen. Hin und wieder einsetzende Schauer zwangen uns allerdings, die Tische zuweilen in das Zelt zu rücken und zunächst alle miteinander dort auszuharren. Die Gäste ließen sich davon gleichwohl nicht beirren, immer warteten sie bereits wieder vor dem Zelt, um ihre Namen ins Deutsche übertragen zu lassen; infolgedessen übersetzten wir geradezu im Akkord, mit Regenschirmen die Namenskarten schützend, bis schließlich der letzte Gast zufrieden sich entfernte. Im übrigen spielten wir hin und wieder vor dem Zelt mit Seifenblasen, was besonders die jungen Besucher erfreute. Indessen gingen hin und wieder Regenschauer plötzlich über dem Gelände nieder; daher blieb die Zahl der Gäste bedauerlich gering an diesem letzten Tag.
Und nun, nach vier Tagen Arbeit, Anstrengung, aber auch viel Lachen und Heiterkeit, was bleibt? Und: Haben sich unsere eingangs geäußerten Erwartungen erfüllt, haben morgendliche Kühle, dann Hitze, Kälte und Sturm ihren Teil zu etwas beigetragen, auf das wir Stolz sein dürfen? Vielleicht ist Stolz das falsche Wort; anders als der auf sich allein gestellte Mensch bei Miyazawa Kenji, hat keiner von uns den Widrigkeiten, die ein solches Ereignis unweigerlich mit sich bringt, alleine getrotzt, sondern haben vielmehr wir alle durch Zusammenarbeit gemeinsam etwas erreicht; dadurch und daran vermochte auch ich erneut zu wachsen. Und zwar hauptsächlich dank der großen Zahl an Helfern, wie etwa die Freiwilligen von Nichidoku Youth Network oder einige unserer Mitglieder, die sowohl beim Transport, als auch bei Aufbau und Verkauf uns zur Seite gestanden haben. Vielleicht ist daher Stolz nicht passend, vielleicht ist eine weitaus schönere Belohnung die Ermattung nach der Heimkehr, und die damit einhergehende tiefe Zufriedenheit, etwas nicht nur allein geschafft zu haben. „So ein Mensch, möchte ich werden.“, heißt es bei Miyazawa am Ende. Ein Mensch der allem trotzt? Durchaus, aber vor allem auch ein Mensch, der nicht alleine, sondern umgeben von anderen Menschen etwas erreichen kann, so ein Mensch möchte ich werden.
Der zweite Tag des Deutschlandfestes begann mit einem kühlen Morgen. Trotzdem hielten wir an unserer Festivaltracht fest, es war kalt, wir aber blieben unbeugsam. Vor dem Zelt wanderte ein Plüschbär von Haribo hin und wieder vorüber. Gegenüber dem Vortag blieb es allerdings eher ruhig, es verirrten sich nicht allzu viele Gäste in den Park. Am Mittag wanderte die Sonne, bis sie schließlich vom höchsten Punkt aus auf das Gelände herab schien; bald war es wieder heiß, manchmal flüchteten wir uns daher unter das Dach des Zeltes. Der Abend kam ungewöhnlich rasch, und mit ihm kam auch wieder die Kälte, dann trugen alle Mitarbeiter eine Jacke über ihrer Festtagstracht. Mit der hereinbrechenden Dunkelheit war gewissermaßen das Startsignal gegeben für unseren Bierlaternen-Workshop: Und zwar wollten wir aus weißer Watte, gelbem Papier, einem Becher, einem Stab und einer LED-Kerze Bierlaternen basteln. Bedauerlicherweise erschienen unsere Kerzchen geradezu winzig gegenüber der Beleuchtung, die den Park in seiner Gänze umfasste. Dennoch wanderten dann wirklich einige unserer Bierlaternen, mit allerdings kleinem Leuchten, aber hübsch anzusehen durch den Park.
Wir hatten es erwartet, wir waren vorbereitet, schon nach den ersten Minuten wussten wir es sicher: Der Samstag wird der Höhepunkt. Und wirklich warteten bereits lange vor Eröffnung des Parks die Besucher am Eingang schon nacheinander aufgereiht. Wie die Tage zuvor stand übrigens unverändert unser Aufsteller mit den LINE-Stickern vor dem Zelt; hier baten wir die Gäste, ihre liebsten deutschen Ausdrücke zu wählen, nach denen wir anschließend LINE-Sticker veröffentlichen würden; vor allem etwa „Toi, toi, toi“ oder „Ich bin blau“ fanden das Wohlgefallen der Gäste. Dann lief hin und wieder Die Maus über den Platz. Daneben wurde auf der Bühne deutsche Volksmusik gespielt, man wähnte sich fast in den Musikantenstadl versetzt. Am späten Vormittag begann endlich unser nächster Workshop: Filzkugeln-Basteln. Hierzu formten wir aus Filz kleine Kugeln in Deutschlandfarben, sodann wurden diese mittels eines Gemischs aus Wasser und Seife verfestigt, schließlich bastelten wir daraus Schlüsselanhänger; vor allem bei den Kindern war der Workshop ausgenommen beliebt, bald waren wir vollständig in Anspruch genommen. Nicht weniger Anklang fand das übersetzen japanischer Namen, hierzu übertrugen wir schlichtweg die Bedeutung, jedenfalls so gut es ging, der Schriftzeichen ins Deutsche; da allerdings nicht wenige Zeichen überhaupt keine Entsprechung im Deutschen aufweisen, war unsere Vorstellungskraft oftmals bis an ihre Grenzen gefordert. Ohne Pause übersetzten wir unermüdlich, die Gäste waren auch wirklich glücklich und wussten unseren Einsatz sehr zu schätzen.
„Niemals zagen, nicht im Regen, nicht im Sturm, nicht im Schnee oder der Hitze des Sommers...“, so beginnt der japanische Schriftsteller Miyazawa Kenji sein wahrscheinlich berühmtestes Gedicht; ein Gedicht über den Menschen, der er werden kann im Angesicht von Mühe und Entbehrung. Ganz ähnlich erging es uns zu Beginn des Deutschlandfestes. Die langen Vorbereitungen, der organisatorische Aufwand zuvor, dann das Wissen um die sicher zu erwartende Mühsal, endlich die Frage: Würde sich der Optimismus, die Hoffnung, hier auch für uns selbst Erstrebenswertes zu erreichen – wie er in Miyazawas Gedicht den Ton prägt –, würde dieser Optimismus sich behaupten können gegen die Ungewissheit, ob denn zuletzt wirklich alles gut ginge?
Schon am Abend zuvor hatten wir alles Material sicher in den Kisten verstaut, jetzt wurde es schnell auf zwei Taxis verteilt, dann ging es auch schon los in Richtung Aoyama-Park. Gegen Mittag erreichten wir endlich den Park, die Sonne stand bereits hoch am Himmel, eine für den November ungewöhnliche Wärme, ja fast möchte man sagen: Hitze, lag über dem Platz; infolgedessen lag überall brauner, feinkörniger Staub, bald meinte man, ihn zu atmen, und uns wurde erneut bewusst: Jetzt ist es Zeit, sich anzustrengen. So entschlossen war das Zelt rasch aufgebaut, übrigens zwischen den Ständen von Lufthansa und Vorwerk; wir bereiteten überdies unterschiedliche Flyer vor, z.B. einen mit unseren Veranstaltungen, versehen mit einem Rezept für ein deutsches Gericht auf der Rückseite (heute: Götterspeise). Bevor allerdings das Fest eröffnet wurde, warfen wir uns noch eilig in dem Anlass gemäße Trachten, d.h. in Dirndl und Lederhosen. Hierauf kamen schon die ersten Gäste – und durchaus nicht wenige, unversehens war es mit der Ruhe vorbei. Von da an waren wir vollauf beschäftigt, wir verkauften Folder, Bücher, Umhängetaschen, außerdem gaben wir Informationen zu unserer Gesellschaft und ab und an kamen sogar einige unserer Mitglieder vorbei. Im übrigen stand abends noch ein Interview mit einer Kinderzeitung an, organisiert vom Gastgeber des deutschen Olympiateams für 2020, dem Bezirk Bunkyô. Gestärkt durch Wurst und Sauerkraut erklärten wir also den Kindern die Bedeutung des Sankt-Martinstags, sprachen über deutsche kulinarische Gerichte, sowie außerdem über unseren Eindruck von Japan. Jetzt können wir es kaum erwarten, den Artikel demnächst selbst zu lesen.