Der Kolonialismus ist Geschichte? – Mitnichten, denn vor dem Hintergrund der Rückgabe einst entwendeter Kulturgüter an afrikanische Staaten sowie der Diskussion um die Verantwortung ehemaliger Kolonialmächte, wirft der Kolonialismus unverändert seinen langen Schatten. Sowohl in Deutschland als auch in Japan findet das Thema allerdings wenig Beachtung; vor den kolonialen Reichen Frankreichs und Englands muten die deutschen und japanischen Eroberungen durchaus winzig an, so jedenfalls die herr-schende Vorstellung. Deshalb hat sich das Sprachcafé im Januar mit dem Kolonialismus und dessen Nachwirkung auseinandergesetzt, wobei auch die Frage, inwiefern Japan in Asien als Kolonialmacht auftrat, nicht außer Acht gelassen wurde.
Zunächst fiel auf, dass die Teilnehmer sich über das Thema bereits gründlich informiert hatten: Fast auf jedem Tisch lagen Unterlagen unterschiedlichster Herkunft über jeweils verschiedene Aspekte des Kolonialismus. Während des wie gewöhnlich gehaltenen Vortrags, stand zwar das Deutsche Reich als Kolonialmacht im Vordergrund, allerdings zeigte sich, dass die Teilnehmer über Wissen verfügten, welches über die deutsche Geschichte hinausreichte. So haben wir z.B. über die Rollen Englands und Frankreichs sowie der Niederlande in Asien gesprochen; daneben fanden auch Spanien und Portugal als amerikanische Kolonialmächte Erwähnung. Allerdings war ich vor allem dankbar für die Einblicke in die japanische Geschichte; infolgedessen konnten wir verschiedenste Formen und Spielarten des kolonialen Unterneh-mens betrachten und diskutieren. Was ist z.B. Kolonialismus überhaupt? Wann entsteht eine Kolonie? Und wie wirkt die einstige Teilung der Welt noch heute auf unser Denken und unsere Wahrnehmung? – über solcherlei Fragen gerieten wir geradewegs in die Diskuskusion, die bald an Reiz, aber auch an Schärfe gewann: Mit dem Thema der Demokratie bzw. welche Staaten man heutzutage überhaupt als Demokratien bezeichnen dürfe und ob es nicht immer noch Unterdrückungsmechanismen gebe, stiegen die Teilnehmer leidenschaftlich in die Diskussion ein; sodann diskutierten die Teilnehmer auch untereinander, es überraschte mich, wie unterschiedlich die Ansichten zu einem aber durchaus kom-plexen Thema, wie der Demokratie waren.
Schlussendlich endeten die Gespräche offen, ich gewann sogar den Eindruck, wir hätten noch eine Stunde weiter ausschließlich über Demokratie und ihre heutigen Erscheinungsformen diskutieren können. Im übrigen hoffe ich, die Teilnehmer wa-ren in der Lage, sich die durchaus schwierigen deutschen Vokabeln zu merken und werden sie, wann immer sie eine deutsche Zeitung aufschlagen, vielleicht wieder entdecken. Was außerdem ersichtlich geworden ist: Der Kolonialismus ist in der Tat keineswegs ein längst vergangener Teil sowohl der Deutschen, als auch der Japanischen Geschichte, sondern wirkt nach, bis in unsere Vorstellung, unsere Sprache und selbst auf die heutige Form unserer Welt.
Es war wohl schlechthin die Sensationsmeldung des vergangenen Jahres: Die Lindenstraße wird abgesetzt. Nach nunmehr über dreißig Jahren; eine Serie, welche nicht nur die deutsche Fernsehlandschaft, sondern auch ganze Familien, meine Großmutter hat sie ebenfalls geschaut, geprägt hat. Deshalb und um die Teilnehmer an einem Stück deutscher Kultur teilhaben zu lassen, hat sich die Sprachkneipe im Januar mit deutschen Serien auseinandergesetzt, nicht etwa neuen, sondern vornehmlich solchen, die seit langem schon das deutsche Fernsehen prägen. Nach einer Einführung mit kurzem überblick, haben wir uns verschiedene Szenen vorgeführt und unterdessen und indem wir sie mehrmals angeschaut haben, die deutschen Phrasen einstudiert sowie den Szenenaufbau analysiert.
Zunächst stand natürlich die titelgebende Serie im Vordergrund: Die Lindenstraße. Die hauptsächlich einfachen, allerdings eigentümlich deutschen Dialoge vermittelten den Teilnehmern nicht nur einen Eindruck von dem Alltag in Deutschland, sondern ließen sie überdies deutsche Dialoge und Phrasen ohne Mühe einstudieren. Ein Gespräch beim Frühstückstisch über ein Glas Schokocreme? – Kein Problem. Der Streit eines Ehepaares über die Miete? – In Deutschland Alltag, für die Teilnehmer erheiternd. Anschließend habe ich eine weitere, vornehmlich an ein jüngeres Publikum gerichtete Serie vorgestellt, und zwar „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, kurz: GZSZ. Hierzu haben wir uns jedoch keinen Film angesehen; da die Serie jedoch im Sprachjargon mittlerweile zum Gemeingut gehört, erschien es mir wichtig, sie wenigstens zu erwähnen. Für gewisse Schwierigkeiten sorgte schließlich die etwas ältere Serie „Die Schwarzwaldklinik“, da das hier verwendete Deutsch teilweise, wenn auch nicht ausschließlich, einen etwas altmodischen Klang aufweist. Dagegen brachte der „Tatort“ wieder Heiterkeit in die Gruppe, Krimis sind nämlich auch in Japan recht beliebt, überdies ist die Art der Handlung eigentlich gleich: Zwei Kommissare finden eine Leiche, es kommt zu Auseinandersetzungen bei der Suche nach dem Mörder, lustige Spräche dürfen darin selbstredend auch nicht fehlen. Um die teils doch nicht ohne Weiteres verständlichen Dialoge mit Vokabular einzuüben, haben wir uns hierauf in Gruppen die Texte nochmals ausführlich angesehen; dann konnten die Teilnehmer sie eigenständig vortragen und somit ihr Verständnis vertiefen.
Schlussendlich wollte ich den Teilnehmer, gewissermaßen für den Nachhauseweg, ein besonderes Ju-wel der deutschen Fernseh- und Kulturlandschaft nicht vorenthalten: Frauentausch. Und wirklich gab es allerlei Gelächter im Raum, zudem eine ähnliche Serie den Zuschauern japanischer Programme wohl unbekannt sein dürfte. Sollten die Teilnehmer einst in den Genuss deutscher Programme kommen, dann erinnern sie sich möglicherweise daran, dass auch die Sprachkneipe, wenigstens für eine Sitzung, in der Lindenstraße zu Besuch gewesen ist.
Anders als in den vergangenen Sprachcafés, haben wir uns dieses Mal mit einem absichtlich weit gefassten Thema beschäftigt: Kultur. Und tatsächlich begegnet uns Kultur überall: Wir sprechen von Beethoven, Bach, Goethe und nennen es deutsche Kultur, wir denken an Samurai, Geishas, Sōseki oder Mishima und nennen es japanische Kultur; ob wir lesen, sprechen, Bahn fahren, spazieren gehen – Kultur scheint allgegenwärtig und ohne Unterlass bemühen wir sie im Gespräch; aber was bedeutet eigentlich der Begriff Kultur? Welche Vorstellung haben wir als Menschen unterschiedlicher Herkunft von Kultur? Und was ist Teil der eigenen Kultur? So kamen wir ins Gespräch.
Für meinen Vortrag habe ich übrigens einen analytischen, vielleicht zu formellen Einstieg in das Thema gewählt, indem ich verschiedene Positionen aus der Anthropologie und Kulturwissenschaft vorgetragen und erläutert habe. Nichtsdestotrotz folgten die Teilnehmer der, wenn auch schwierigen, Thematik sichtlich mit Interesse; auch die Diskussion kam rasch und ohne Mühe in Gang, ein weit gefasstes Thema bietet schlichtweg auch viel Raum für Anmerkungen und Aussprache. Allerdings standen wir auch gewissen Schwierigkeiten gegenüber: Da Kultur ein sehr weites Feld an Dingen bzw. Eindrücken umfassen kann, fiel es mitunter schwer, war es vielleicht auch gar nicht möglich, nicht im Gespräch auf andere Felder umzuschwenken; so haben wir z.B. auch über die Wahrnehmung von Krieg und Geschichte gesprochen und hierauf ganz unwillkürlich uns in diese Richtung weiter orientiert; ein andermal ging es dann um die Zeitrechnung, wobei ich überrascht war zu erfahren, dass die japanischen Teilnehmer die Jahreszahlen in Regierungsperioden des Tennōs zuerst nannten, und anschließend in Zahlen des Christlichen Kalenders umrechneten; dass die japanische Art die Jahre zu zählen offenbar auch im Alltag noch in Gebrauch ist, hatte ich um aufrichtig zu sprechen nicht erwartet.
Schlussendlich verlor sich die Diskussion ein wenig im Unbestimmten, was andererseits vielleicht nicht zu vermeiden ist, bei einem derart komplexen, weitreichenden Thema. Was den Teilnehmern, ich hoffe es wenigstens, in Erinnerung bleiben wird, ist der Umstand, dass das Wort Kultur zwar wie selbstverständlich gebraucht wird, nach genauerer Betrachtung jedoch eine kaum bewusst wahrgenommene Tiefe und Komplexität erahnen lässt. Für gewöhnlich erachtete Dinge im Alltag mit neuem Blick sehen – darin liegt wohl ein Reiz nicht allein des Sprachcafés, sondern jeder Art von Gespräch.
Was ist der wohl beliebteste Buchexport Deutschlands? – Die weltweit bekannten Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Selbst in Japan kennt man die gelä ufigsten dieser Märchen, zumindest in groben Zügen; erst recht durch die zahllosen Disney-Adaptionen fanden Märchen wie etwa Dornröschen, Rapunzel oder Schneewittchen auch vonseiten eines globalen Publikums Beachtung. Geschichten, die jeder überall kennt, so denkt man gemeinhin in Deutschland. Aber was hat es wirklich mit diesen Märchen auf sich? Wer kennt heute noch die Editionsgeschichte? Und was ist ein sogenanntes „Märchen“ denn überhaupt?
Während unserer letzten Sprachkneipe dieses Jahres, haben wir uns ebenfalls solcherlei Fragen gestellt. Zunächst habe ich getestet, ob die Teilnehmer denn einschlägige Märchen überhaupt kennen; und wirklich haben sie Märchen wie etwa Rotkäppchen oder Rapunzel nicht nur sofort erkannt, sondern sie wussten sogar die deutschen Namen und waren in der Lage, den Plot wieder zu geben. Also eigentlich alles be-kannt? – Mitnichten, denn es passte ganz hervorragend, dass ich für die nächste übung ein äußerst kurzes, abseits von Europa aber wohl wenig bekanntes Märchen ausgewählt habe: Und zwar das Märchen „Die Sterntaler.“ Obwohl die Sprachkneipe hauptsächlich in Japanisch veranstaltet wird, habe ich mir hierauf ge-stattet, das Märchen zusammen mit allen in Deutsch zu lesen. Dergestalt sollte der spezielle Sound der Grimmschen Märchen verständlich werden; die Teilnehmer lern-ten also was der Diminutiv ist, wie Poesie konstruiert ist und häufig auftretende Märchenphrasen.
Anschließend habe ich einen Vortrag über die Herkunft der Märchen gehalten: Vor allem die italienischen Märchen von Giambattista Basile und die französischen von Charles Perrault standen im Vordergrund. Tatsächlich waren die Teilnehmer nicht wenig überrascht, herauszufinden, dass die italienischen und französischen Versionen keineswegs für Kinder bestimmt waren; und dass unsere heutige Vorstellung von Märchen als Kinderlektüre hauptsächlich auf die Bearbeitung der Gebrüder Grimm zurück zu führen ist. Schließlich haben wir uns noch einen alten Kinderfilm aus den 90er Jahren angesehen, den ich übrigens als Kind des öfteren und mit großem Vergnügen geschaut habe: Hänsel und Gretel. Die etwas altmodische Inszenierung erheiterte die Teilnehmer, überdies gewannen sie dadurch einen Eindruck von der Vorstellung, die man in Deutschland gewöhnlich mit Märchen verbindet. Und hoffentlich zufrieden verabschiedeten sich alle in die Weihnachtszeit. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.